GEDICHTE aus dem LEBEN

Sonntag, 15. November 2009

Die Perleninsel

Kindermärchen
von

Gertrud Elisa Manzau

. Es lebte einst ein Ritter namens Heribert von Falkenstein, der hauste auf einer großen Burg, die an einem riesigen See lag. Heribert war kein grausamer Ritter. Er überfiel mit seinen Soldaten hauptsächlich Burgen, deren Herren im Überfluß lebten und raubte alles, was ihm zwischen die Finger kam. Der kostbarste Raub war ein Sack mit Perlen so groß, wie Golfbälle.
Da der See, an dem die Burg Falkenstein stand, eben zu dieser gehörte, verlangte Heribert von den Fischern, die am Ufer des Sees wohnten, für ihn auf Fang zu gehen und ihm sämtliche Fische auf die Burg zu bringen. Er entlohnte sie dafür je nach Menge mit seinen geraubten Perlen, die die Fischer in der benachbarten Großstadt für gutes Geld verkauften.
Der Anführer der Fischer, Karl, geriet mit Heribert in Streit. Er fühlte sich unterbezahlt und stritt mit Heribert bis zur Mittagsstunde. Zu diesem Zeitpunkt erschien Ludmilla, Karls Tochter, um nach ihrem Vater zu schauen. Sonst blieb er nie so lange aus und war immer pünktlich daheim. Heribert erblickte dieses schöne Mädchen und sofort war sein Herz entbrannt. Diese Schönheit mußte er unbedingt zur Frau haben. Er trat zu Ludmilla und streichelte ihre Wange.

„Dein Vater kommt gleich, schönes Kind!“ sagte er zu ihr. „Wie ist dein Name?“

„Ludmilla!“ flüsterte sie verlegen und sah zu Boden. Heribert war ein schöner stattlicher Mann und Karl fürchtete, seine Tochter könnte sich in diesen Halsabschneider verlieben. Er sprang zwischen die beiden, packte seine Tochter an die Hand und zog sie auf seinen Pferdekarren.
„Meine Tochter ist nicht für einen wie dich!“ Schrie er, während er aus dem Hof fuhr. „Laß deine Finger von ihr!“
Heribert schaute dem abfahrenden Karren hinterher. Er mußte Ludmilla unbedingt bekommen, dafür wollte er alles tun. Er ritt hinunter zu Karl mit einem Sack Perlen als Lohn und einem anderen Sack Perlen für die Brautwerbung. Aber Karl blieb hart. Er nahm den Lohn ohne Worte und lehnte das Brautgeschenk ab.
„Ich habe gesagt, du bekommst sie nicht, verschwinde mit deinen geraubten Perlen!“ jagte Karl ihn unerbittlich davon. Traurig ritt Heribert zurück auf seine einsame Burg. Er nahm das Brautgeschenk und ging zum Ufer des Sees, wo sein Ruderboot ankerte, legte den Sack Perlen hinein und ruderte bis zur Mitte des Sees. Dort leerte er mit wehem Herzen den Sack aus und die Perlen versanken im Wasser bis auf den tiefen Grund. Heribert starrte ins Wasser und seine Augen waren blind vor Tränen. Dieser stattliche Mann weinte aus Enttäuschung und seine Tränen verschmolzen mit dem Wasser. Traurig legte er sich abends zum Schlafen nieder und dachte an Ludmilla, an ihren schönen Mund, den er so gern einmal küssen würde!

Morgens erwachte er von großem Geschrei, auf dem See war etwas geschehen. Er stand auf und ging zum Fenster. Da sah er genau in der Mitte, wo er die Perlen ins Wasser geschüttet hatte, eine große Insel, voller Seerosen bewachsen. Neugierig geworden ruderte er dorthin. Die Insel hatte ein festes Ufer, das er betreten konnte. Überall wuchsen Seerosen zwischen denen er viele Perlen entdeckte. Er ruderte zurück und ließ bekannt geben, dass niemand diese Insel betreten dürfe. Wer sich diesem Verbot widersetzte , würde ertränkt werden. Seit diesem Ereignis wurden immer wieder Perlen am Ufer des Sees gefunden und es kamen viele Besucher, um auf Perlensuche zu gehen. Aber niemand wagte einen Schritt auf die geheimnisvolle Insel zu setzen.
Heribert gab nicht auf und warb weiter um seine Ludmilla. Karl liebte seine Tochter über alles, und als er bemerkte, dass Ludmilla ihm von Herzen zugetan war, gab er dem unerbittlichen Werben Heriberts nach. Es wurde eine große Hochzeit gefeiert und Heribert schenkte seiner Frau die Seeroseninsel. So wurde Ludmilla zur reichsten Frau der gesamten Umgebung. Für jedes Kind, das sie gebar, schenkte ihr Vater ihr je eine faustgroße Perle, die er alle am Seeufer gefunden hatte. Getauft wurden die Kleinen alle auf der Perleninsel. Sieben Mal mußte der Pfarrer sich hinüber fahren lassen. Das besorgte der stolze Großvater Karl.
Heribert lebte mit seiner schönen Ludmilla und seinen sieben quirligen Kindern als zufriedener und glücklicher Mann, wie es nie einen auf der Welt gegeben hat.